Das Künstlerkollektiv vor ihrer Videoinstallation des Annaberger Bergaltars; Foto: Charlotte Eifler

Interview

Von Annaberg-Buchholz bis nach Bolivien

Die Künstlerin Charlotte Eifler und der Künstler Clemens von Wedemeyer zur Videoinstallation zum Annaberger Bergaltar

Der Bergaltar der St. Annenkirche in Annaberg-Buchholz ist Leitsymbol der Zentralausstellung der 4. Sächsischen Landesausstellung „Boom. 500 Jahre Industriekultur in Sachsen“. Das von Hans Hesse 1521 geschaffene Gemälde wurde dafür von den Künstlerinnen und Künstlern Clemens von Wedemeyer, Paula Ábalos, Emerson Culurgioni, Charlotte Eifler, Deborah Jeromin und Mikhail Tolmachev zeitgenössisch in Szene gesetzt. Die Videoinstallation mit dem Titel „Ausbeutung, oder wie man die Oberfläche durchbricht“ bringt den bergmännischen Arbeitsalltag im Erzgebirge mit dem Bergbau in Lateinamerika zusammen. Im Interview erklären Clemens von Wedemeyer und Charlotte Eifler, welche Idee dahinter steckt und was der Annaberger Bergaltar für die Industriekultur bedeutet. 

Hans Hesse malte die wohl früheste Darstellung der Technik des Bergbaus und hielt somit auch die harte Arbeit der Bergleute fest. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, daraus eine Videoinstallation zu machen?

Von Wedemeyer: Tatsächlich ist Thomas Spring, Kurator der Landesausstellung, mit der Idee auf mich zugekommen, eine freie künstlerische Arbeit des Annaberger Bergaltars in der Ausstellung zu präsentieren, um so einen offenen Zugang zum Thema der frühen Industriekultur zu schaffen. Wir fanden den Gedanken, Motive und Themen des Bildes weiterzudenken und in eine Videoinstallation zu überführen ziemlich spannend. Auf dem Bild sind zum ersten Mal Minenarbeiter in Farbe abgebildet, die dabei sind, Silber abzubauen um genau diesen Altar zu finanzieren. Eine Art „Making-of“ des Reichtums. 
Eifler: Im Vordergrund unserer Arbeit steht die Beziehung zwischen der spätmittelalterlichen Malerei und den digitalen Bildtechniken des 21. Jahrhunderts. Dabei spannen wir den Bogen vom Erzgebirge und dem Silberabbau bis hin nach Bolivien, wo heute statt Silber, Lithium gewonnen wird. Wir wollten diese Mechanismen der Ausbeutung von Körpern und der Umwelt sichtbar machen. 

Das klingt ja doch sehr komplex. War Ihnen sofort klar, wie die Installation aussehen soll, als Sie den Annaberger Bergaltar gesehen haben?

Eifler (schmunzelt): Wir nennen das Ganze auch immer noch ein Recherche-Projekt, denn wir haben bestimmt ein Jahr lang überlegt, wie wir die Thematik inszenieren können. Da stecken einfach so viele Ebenen drin, die man ausarbeiten und miteinander verbinden kann. Wir haben uns viel Zeit genommen, das gemeinsam in der Gruppe zu entwickeln.
Von Wedemeyer: Gerade am Anfang haben wir uns verschiedene Themen und Gebiete fast schon räumlich vorgestellt. Von der Landschaft, in der die Minenarbeit stattfindet, bis tief hinunter in den Berg. Ein weiterer Themenschwerpunkt war natürlich das Silber und seine Überführung in andere Formen und Stoffe um heutige Elektronik herstellen zu können und Daten als elektrische Impulse und nicht zuletzt digitale Bilder zu ermöglichen.

Ihre Großprojektion im Eingangsbereich der Zentralausstellung unterstreicht die Bedeutung des Bergbaus für die 500-jährige industrielle Entwicklung Sachsens. Doch was genau sieht man eigentlich?

Eifler: Also erst mal gibt es fünf Leinwände, auf denen sich die Projektion immer wieder in einzelne Bildelemente aufsplittet um dann wieder ein Ganzes zu ergeben. Wir sehen eine Restauratorin die das Gemälde des Annaberger Bergaltars untersucht und sich mit dessen Motiven und Schichten beschäftigt. Sie beginnt zum Beispiel die Bewegungen der abgebildeten Bergarbeiterinnen und Bergarbeiter nachzuempfinden und schließlich ins Digitale zu transformieren.
Von Wedemeyer: Die Restauratorin stellt auch eine Beziehung zwischen den Figuren auf und versucht analytisch die Arbeitsabläufe nachzuvollziehen. Über die Bewegung der Arbeiter kommt sie dann zur Landschaft, die neu aufgeforstet wurde, und entdeckt alte Mineneingänge. Tief unter der Erde trifft sie schließlich auf die Figur El Tio und von dort verändert sich dann das Bild und es geht auf eine weite Ebene, die für die Salzebene Salar de Uyuni bei Potosí in Bolivien steht (Anm. d. Red.: Die Silberminen von Potosí galten einst als Zeichen des Reichtums der spanischen Eroberer sowie der Unterdrückung der Bevölkerung).

„El Tio“ ist der verbreitete Name für den spirituellen Besitzer der Unterwelt in Bolivien. Minenarbeiter bringen ihm Geschenke um ihn friedlich zu stimmen. Warum haben Sie sich ausgerechnet für diese Figur entscheiden?

Eifler: Indem die Restauratorin auf die Figur trifft, verweisen wir auf gewisse internationale Beziehungen im Bergbau, damals bis heute. El Tio ist Ausdruck religiöser Praxis genauso wie Zeichen der Unterdrückung durch eine Kolonialmacht. Auch im Erzgebirge gab es ähnliche Berggeister.
Von Wedemeyer: Zudem wurden Technologien aus dem Erzgebirge nach Bolivien exportiert. Das hatte zur Folge, dass der Silberpreis soweit fiel, dass es sich kaum noch lohnte, Silber in Sachsen abzubauen.

Mit Blick auf Industriekultur: Was haben Sie für sich aus dem Projekt mitgenommen?

Eifler: Natürlich hat es dazu geführt, dass wir uns verstärk mit der hiesigen Industriekultur auseinandergesetzt haben, wie zum Beispiel mit dem Thema Nachhaltigkeit. Und gleichzeitig haben wir auch immer wieder hinterfragt, inwiefern die sächsische Identität auf diese vorausgegangenen Industrieprozesse aufbaut. Denn zum einen stecken da Ausbeutungsprozesse dahinter und gleichzeitig ist es eine globale Vernetzung. Es war uns wichtig nicht nur hier zu bleiben, sondern zu zeigen, was weltweit zeitgleich passiert und wie alles zusammenhängt.
Von Wedemeyer: Der Annaberger Bergaltar ist ja auch ein wichtiges Identifikationssymbol und ein touristischer Anziehungspunkt. Uns war es aber wichtig, mit unserer künstlerischen Arbeit neue Aspekte aufzutun und über Abstraktion und Assoziationen einer einfachen Lesart zu entgehen.

Für alle, die es nicht geschafft haben die Sächsische Landesausstellung zu besuchen: Wo kann man Ihre Installation als nächstes sehen?

Von Wedemeyer: Hoffentlich nächstes Jahr im Erzgebirgsmuseum in Annaberg-Buchholz zum 500-jährigen Jubiläum des Annaberger Bergaltars!

Vielen Dank für das Gespräch!

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