Das Farbglasdach von Ritchie Riediger in Küsnacht, Foto: Ritchie RiedigerRitchie Riedigers „OSZO 44 – THE CHROMATIC CIRCLE OF JOHANNES ITTEN“ in Küsnacht, Foto: Ritchie Riediger

Interview

Ein Kunstwerk, das Industriegeschichte und Bauhaus vereint

Der Leipziger Künstler Ritchie Riediger im Gespräch

Im Laufe des Tages, je nach Sonnenstand, verwandelt sich das Kunstwerk und ist auch an einem Tag nicht dasselbe wie am Tag zuvor – der Leipziger Künstler Ritchie Riediger hat mit „OSZO 44 – THE CHROMATIC CIRCLE OF JOHANNES ITTEN“ 2019 in der Schweiz ein faszinierendes Werk geschaffen: Kunst am Bau, inspiriert vom Farbkreis des Bauhaus-Künstlers Johannes Itten und von der Geschichte eines historischen Industriegebäudes, der Energiezentrale der ehemaligen Textilfärberei Terlinden in Küsnacht bei Zürich. Dort nämlich hat er das Projekt umgesetzt: Das Gebäude, in dem heute eine Bank zu finden ist, verfügte bereits über ein 100 m2 großes Klarglasdach über dem Haupteingang. Riediger hat es mit farbigem Glas versehen, so dass das Sonnenlicht sich wandelnde Farbflächen auf die Fassade und den Boden projiziert. Wir haben mit dem Künstler über sein Werk gesprochen.

Wie kam es zu der Arbeit OSZO 44 in der Schweiz?  
Der Besitzer der Energiezentrale, die zur Textilfärberei Terlinden gehörte, ist ein langjähriger Sammler meiner Werke. Wir kennen uns gut. Wenn ich in der Schweiz war, bin ich oft mit dem Auto an dem Gebäude vorbeigefahren: Irgendwann kam mir die Idee, das vorhandene Glasdach mit diesem speziellen Raster mit farbigem Glas zu versehen. Es brauchte dann noch ein wenig Überzeugungskraft, aber am Ende hat der Besitzer des Gebäudes gesagt: „Ja, mach das!“

Das Farbspiel, das durch das Glasdach entsteht, verweist auf Johannes Itten. Was hat es damit auf sich?
Genau, der Farbkreis von Johannes Itten war eine Inspirationsquelle für dieses Werk, wie übrigens auch schon für andere Werke zuvor. Itten hat selbst viel mit Glas gearbeitet, befasste sich aber auch intensiv mit textiler Kunst, ab 1943 leitete er die Textilfachschule in Zürich. Und da er in der Nähe von Küsnacht wohnte, ist er wahrscheinlich jeden Tag an der Textilfärberei Terlinden vorbeigefahren. Das finde ich spannend. Ich bringe hier zwei Geschichten zusammen: die Fabrik, in der 130 Jahre lang Stoffe gefärbt wurden, und den Leiter der Züricher Textilfachschule, der sich u.a. mit der Farbenlehre befasste. Aber das Kunstwerk muss natürlich auch ohne diese Geschichte funktionieren und beim Betrachter eine Wirkung erzielen.

Die Umsetzung war gar nicht so einfach – handwerklich wie auch logistisch.
Das Glas wiegt allein acht Tonnen. Da brauchte ich natürlich eine Baufirma mit Kran. So etwas kann man nicht allein machen. Aber auch die Herstellung des Glases nach meinen Vorstellungen war nicht einfach. Nachdem ich mir das Objekt vor Ort immer wieder zu verschiedenen Jahreszeiten angesehen hatte, habe ich das Dach am Rechner visualisiert. Die einzelnen Farbglasflächen wurden dann von einer Schweizer Glasfirma hergestellt, die mit dem Patent einer amerikanischen Firma arbeitet. Es waren einige Farbproben nötig, bis das Ergebnis stimmte.

Wie ist denn die Resonanz bei den Menschen vor Ort?
Als wir mit der Arbeit begannen, waren nicht alle überzeugt, aber mittlerweile ... In der Schweiz nimmt man es mit vielem ja sehr genau. Deshalb hatte ich anfangs Bedenken. Der bunte Schatten des Glasdachs fällt am Nachmittag nämlich auf die Fahrbahn der Straße und ich habe befürchtet, dass es Probleme geben könnte. Aber mein Sammler hat mich damals beruhigt und gemeint: „Warte mal ab, das wird schon.“ So war es dann auch. Bis jetzt – und es sind nun schon anderthalb Jahre – hat sich noch niemand beschwert. Wahrscheinlich finden die meisten Leute das Ergebnis sehr überzeugend.

Sollten Bauherren mehr Mut haben und häufiger Künstler bei ihren Vorhaben einbeziehen?
Unbedingt. Früher hat man viel mehr Geld für Kunst am Bau ausgegeben. Das sieht man im Übrigen auch bei vielen historischen Industriegebäuden, wie wir sie hier in Sachsen haben. Die hatten damals wirklich Ahnung. Heute scheitert leider vieles am Geld. Ein neues Haus soll möglichst günstig sein. Andererseits liegt es meiner Meinung nach auch an der fehlenden Bildung. Da sollte man bereits in den Schulen ansetzen und den Kindern und Jugendlichen mehr ästhetische Bildung mitgeben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Ein Video, das den wandernden Schattenwurf des Glasdachs zeigt, finden Sie auf der Website von Ritchie Riediger oszo.de und unter: vimeo.com/360588066

Ritchie Riediger, 1967 in Weißenfels geboren, studierte Kunst an der Burg Giebichenstein in Halle und an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig. Er war Meisterschüler bei Prof. Helmut Mark (HGB Leipzig). Als freischaffender Künstler, der in Leipzig lebt, erschafft er Skulpturen, Objekte und Installationen, die oft auch die Bereiche Audio und Video einbeziehen, Töne visualisieren oder mit künstlichem Licht spielen.
 

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