Frankenberg
„Augen auf beim Teppichkauf, steht SäTeMa drauf?“
Grund des Besuches ist einerseits die dringende Suche nach einer Nachfolge für die Teppichweberei, die Witzschel 80-jährig nahezu allein betreibt. Zum anderen soll in Erfahrung gebracht werden, wie die noch intakte Teppichproduktion funktioniert, welche Maschinen zum Einsatz kommen und welches Potenzial in dieser sächsischen Weberei schlummert.
(LT=lokaltextil, EW=Eberhard Witzschel)
LT: Herr Witzschel, erzählen Sie uns bitte die Geschichte der Weberei.
EW: In Gera kamen damals vor über hundert Jahren drei Meister einer Teppichweberei mit der Absicht zusammen, sich selbstständig zu machen. Frankenberg hatte damals annonciert. Die drei hatten die Idee einer eigenen Weberei, jedoch kein Geld. Nur guten Willen. Sie begannen mit Lohnarbeiten und mieteten dafür ein Haus. In Chemnitz wurden fertige Ketten bei „Bachmann&Ladewig“ gekauft und in Frankenberg verwebt. (Als Kette bezeichnet man in der Weberei die Längsfäden auf dem Webstuhl, Anm.d.Red.) Die fertige Ware verkauften sie wieder. So konnten sie sich nach und nach ihre eigene Weberei aufbauen und die Möbelstoffweberei Pfefferkorn in Frankenberg kaufen. Zusätzlich begannen sie, die Kettfadendruckerei aufzubauen. Bei dieser aufwendigen Technik werden Kettfäden vor dem Verweben bedruckt.
Während der Weltkriege hatte es Stillstand gegeben. Alle Leute wurden entlassen. Außer Herr Wenschuh, der hat wohl noch weiter gezeichnet und Aufträge aus der Schweiz angenommen, damit sie überhaupt überleben konnten. Es fand keine Rüstungsproduktion statt. Gott sei Dank. Sonst wären wir nachher enteignet worden.
Die Teppichmanufaktur war zu DDR-Zeiten zunächst noch in privater Hand. Dann beteiligte sich der Staat. 1972 kam es unter massivem Druck zur sogenannten Umwandlung in einen volkseigenen Betrieb. So war der Betrieb dann der VEB Teppichweberei Frankenberg, der Staat war nun der Besitzer. Es brauchte aber trotzdem jemanden, der die Direktion des Betriebes übernimmt. Also wurden die SED-Kreisleitung und danach der Betrieb gefragt, wer geeignet ist. Ich wurde gnädigerweise dazu bestimmt. Bis dahin war mein Vater Komplementär. Der Betrieb war eine KG, eine Kommanditgesellschaft.
LT: Wie lief die Arbeit hier zu DDR-Zeiten? Wurde Ihre Arbeit geachtet und was war sie mit Blick auf die Preisgestaltung wert?
EW: Preise wurden damals von zentraler Stelle organisiert. Das Zentralreferat für Preise hat damals ganz genau festgelegt, wieviel der Quadratmeter Teppich kosten darf. Auf dem Fichtelberg genauso viel wie auf der Insel Rügen. Völlig egal, ob Fachgeschäft oder irgendwas. Ich habe nach der Wende jahrelang lernen müssen, meine Preise selbstbewusst zu gestalten. Da musste ich mich lange dran gewöhnen. Zu DDR-Zeiten wurden unsere Produkte verschleudert. Wir waren in allen Katalogen drin – von Neckermann über Otto bis Schöpflin. Da wurden die Preise diktiert. Es war sehr interessant, nach der Wende wieder auf die Einkäufer zu treffen. Da musste ich erst einmal erklären, dass jetzt die Preise gezahlt werden müssen, die das tatsächlich auch kostet. Da war dann von heute auf morgen Schluss. Alle sind weggebrochen.
LT: Wie überstand der Betrieb die Wende?
EW: Heute sind wir wieder eine Kommanditgesellschaft, denn wir haben die Firma 1991 wieder in eine KG rückübertragen. Deshalb gab es auch Probleme. Ich wollte den Namen „Sächsische Teppichmanufaktur“ wieder eingetragen haben. Doch unmittelbar nach 1990 hießen wir Teppichweberei GmbH. Beim Handelsregister wollte man mir den Namen nicht zuerkennen. „Sächsisch“, das ginge ja überhaupt nicht, dafür sei mein Betrieb viel zu klein. Da sagte ich nur: Wissen Sie, ich will den Betrieb nicht neu eingetragen haben. Er gehört mir ja. Ich möchte Ihnen nur mitteilen, dass ich die wirtschaftliche Tätigkeit wieder aufnehme. Die hat von 1972 bis 1990 geruht und jetzt webe ich wieder! Ich mache eigentlich das, was wir vorher auch gemacht haben. Und so haben sie Ja sagen müssen. Und deshalb heißen wir heute wieder so wie früher.
LT: Sie produzieren also heute nur noch auf Bestellung, auf Maß sozusagen? Sie erarbeiten den Entwurf mit dem Kunden, erstellen die Lochkarte und besorgen die Rohstoffe?
EW: Im Prinzip ja. Die Kirchen rufen mich an und wünschen sich einen neuen Kirchenteppich. Dann fahre ich meist zu einem Ortstermin und sehe mir alles an. Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder die Kirchenleute wünschen sich genau das, was schon da ist. Die zweite Variante ist, sie möchten etwas völlig Neues. Und die dritte, eher seltene Möglichkeit ist, dass sie eigene gestalterische Vorschläge mit einbringen. Wir besprechen alles vor dem Hintergrund der Gegebenheiten der betreffenden Kirche. Wir sind auch in verschiedenen Kirchenversandkatalogen mit unseren Teppichen vertreten.
LT: Herr Witzschel, Sie haben nebenbei erwähnt, dass Sie bei Staatsempfängen stets den roten Teppich in der Staatskanzlei in Dresden ausrollen. Wir würden das sehr gern genauer wissen.
EW: Genau. Der Läufer wurde hier bestellt und natürlich auch gewebt. Wir haben ihn dann bei einer Veranstaltung, einem Staatsempfang, verlegt, und nachher stellte sich die Frage, was macht man nun damit? Wegwerfen wäre ja absolut schade gewesen. Deshalb gibt es die folgende Vereinbarung mit der Staatskanzlei Dresden: Wir demontieren, lagern ein und wenn der nächste Staatsgast kommt, werden wir beauftragt, den Teppich gereinigt anzuliefern und wieder zu verlegen. Meine Leute warten dann vor Ort im „Backstage“. Wenn der Staatsgast abgereist ist, demontieren wir alles. Heute kümmert sich meine Tochter darum. Sie führt seit 10 Jahren das in der Region größte Raumtextilienfachgeschäft, was sich seit den 1990ern in den Räumlichkeiten der ehemaligen Druckerei befindet.
LT: Hier steht ein Wort geschrieben: Sätema. Wofür steht das?
EW: Das war ein Qualitätsbegriff und stand für Sächsische Teppichmanufaktur. „Augen auf beim Teppichkauf, steht SäTeMa drauf?“, hieß es.
LT: In welchem Umfang betreiben Sie den Betrieb aktuell noch?
EW: Durchgängig wird hier nicht mehr gearbeitet. Ich habe aber demnächst ein paar Aufträge. Dann werbe ich mir den Webmeister zurück, der hier gewebt hat, der jetzt bei einer anderen Firma beschäftigt ist. Sie leihen ihn mir dann für zwei, drei Tage mal aus. Bei voller Auslastung schafft der Webstuhl zwei bis drei Meter breit, so sechs bis acht Teppiche am Tag. Wenn es richtig läuft. Die Maschine holt sich immer ein Blatt (Lochkarte) nach dem anderen. Ein Blatt ist für eine Querlinie. Die Blätter werden nach und nach von der Maschine abgetastet, so entsteht das angestrebte Muster.
LT: Sie sind mittlerweile 80 Jahre alt und sagen selbst, irgendwann ist Schluss. Was würden Sie sich für Ihren Betrieb wünschen?
EW: Jemanden, der Interesse hat. Jemanden, der das weiterführt. Nicht gerade als Kaufhalle für Lebensmittel, das wäre nicht mein Ziel. Auch nicht als Gokart-Bahn. Ich habe schon erwogen, oben im zweiten Stock den Giebel aufzubrechen und ein Riesencafé einzubauen. Mit diesem wunderschönen Blick über die Aue der Zschopau. Das ist alles schon als Idee dagewesen. Ich könnte mir sogar eher vorstellen, dass man mehrere Interessenten unter ein Dach bekommt. Vielleicht mit ein paar Synergieeffekten.
LT: Demnach muss ein Interessent nicht das gesamte Gelände übernehmen, sondern Sie können sich auch eine Mischung vorstellen?
EW: Das ist eine Frage der Konstellation. Die Leute müssen auch miteinander arbeiten können!
LT: Herr Witzschel, wir danken Ihnen für das wunderbare Gespräch und die interessanten Einblicke.
In dem auf dem Gelände ansässigen Raumausstattungsgeschäft, geführt von Herrn Witzschels Tochter, werden nach wie vor Teppiche verkauft. In der Weberei werden immer noch Einzelanfertigungen in der Weberei ausgeführt.
Mittlerweile gibt es einen Interessenten für die Nachfolge.
Die ungekürzte Version des Interviews sowie Videos mit Erläuterungen zur Kartenschlagmaschine finden sich auf www.lokaltextil.de.